Kritische Psychologie

Das Projekt der Kritischen Psychologie hat seine Wurzeln in den Studierendenprotesten von 1968, welche die akademische experimentell-statistisch orientierte Psychologie als Kontroll- und Herrschaftswissenschaft anprangerten. Stattdessen sollte die Psychologie als marxistische Subjektwissenschaft zum Zweck der „Selbstaufklärung des Menschen über seine gesellschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten“ (Holzkamp, 1970) auf eine neue Grundlage gestellt werden.

Klaus Holzkamp, damals Professor an der FU Berlin, legte 1983 mit der „Grundlegung der Psychologie“ einen konsistenten, offen gelegten und somit kritisierbaren Vorschlag für ein Fundament der Psychologie vor. Darin entwickelte er Grundbegriffe, anstatt sie einfach nur zu definieren: anhand der funktional-historischen Methode wurde die evolutionäre Entstehung der Psyche bis hin zum gesellschaftlichen Menschen rekonstruiert. In dem durch Rekonstruktion der widersprüchlichen Einheit von Natur-, Gesellschafts- und Individualgeschichte entwickelten Begriff der gesellschaftlichen Natur des Menschen zeigt sich, dass Natur und Gesellschaftlichkeit keine Gegensätze darstellen, sondern einen inneren Zusammenhang haben.

Mensch und Gesellschaft sind nicht als äußerlich gegenüber gestellt zu denken, sondern sie stellen ein dialektisches Verhältnis von gesellschaftlichem Menschen und menschlicher Gesellschaft dar. Die in unser aller Alltag vorherrschende Denkform des isolierten Individuums verweist demgemäß auf die strukturelle Verfasstheit der kapitalistischen Gesellschaft. Zentrale Erkenntnis für die Kritische Psychologie ist folglich, dass Menschen ihre Lebensbedingungen nicht einfach vorfinden, sondern sie selbst im gesellschaftlichen Prozess herstellen und verändern. Mit den kritisch-psychologischen Grundbegriffen soll es Menschen möglich werden, ihre eigenen Lebensproblematiken als Momente widersprüchlicher gesellschaftlicher Verhältnisse zu verstehen und dadurch deren Veränderung im Sinne verallgemeinerter menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten denkbar zu machen ( → Kollektive Selbstverständigung).

Holzkamp, K. (1970). Die kritisch-emanzipatorische Wendung des Konstruktivismus. Zeitschrift für Sozialpsychologie, S. 109-141.
Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/Main: Campus.

Maxi Trojosky

Zum Weiterlesen: Kritische Psychologie. In Der Große Psycho (S. 36-37).